Stellungnahme zu Beschlussvorlage Nr.: BV 1506/2025 zu Erklärung des kommunalen Einvernehmens gemäß § 36 BauGB zur Errichtung und Betrieb eines Biomasseheizwerkes (BMHKW) am Standort Stade-Bützfleth
Ortsrat Termin: 12.06.2025
Die Bürgerinitiative Bützfleth für umweltverträgliche Industrie (BiB) ist der Ansicht, dass die Beschlussvorlage der Stadt zu Errichtung und Betrieb eines Biomassekraftwerkes mangelhaft ist und folglich in starkem Maße die Mitglieder des Umweltausschusses, des Ortsrates, des Verwaltungsausschusses und des Rates der Stadt Stade unzutreffend informiert und zu einem das Recht missachtenden Beschluss führen kann. Die BiB ist der Ansicht, dass die Beschlussvorlage nicht beschlussfähig ist und daher von allen Ratsgremien abgelehnt werden sollte.
Die Beschlussvorlage geht davon aus, dass es sich bei dem hier behandelten Gelände um einen Industriestandort handelt. Dem ist insoweit zuzustimmen, als das auf diesem Standort schon Industriebetriebe produzieren.
Das bedeutet aber keinesfalls, dass es sich bei dem Gelände der Hansekraft um ein Industriegebiet nach § 9 der BauNVO handelt. Dies ergibt sich aus dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts zum B-Plan 602/1 im Jahre 2018, der fordert, dass in einem Industriegebiet ein Schallleistungspegel von 70 dB(A) zugelassen werden muss. Ein solch hoher Lärmpegel führt aber automatisch dazu, dass die Lärmbelästigung in den benachbarten, schutzbedürftigen Wohngebieten (Deichstraße, Ortskern, Alte Chaussee u.a.m.) den nach TA-Lärm einzuhaltenden Richtpegel in unrechtsmäßiger Weise überschreitet. Die Messungen des Gewerbeaufsichtsamtes Cuxhaven vom August/September 2024 am Wohnhaus Storchenstieg 3 (Wohngebiet nach B-Plan BÜ II) zeigen, dass schon heute sogar in 300 m vom östlichen Rand des Ortskerns entfernten Wohngebiet der Lärm den zulässigen Richtwert von 40 dB(A) um 5 dB(A) überschreitet.
Die Stadt hat im B-Plan 602/1 versucht, das Problem durch Absenkung der zulässigen Lärmemission im industriell genutztem Gebiet und durch rechtswidrige Erhöhung des Immissionsgrenzwertes auf 46,2 dB(A) im Wohngebiet zu lösen. Das Gericht hat klargestellt, dass dieser Weg nicht rechtskonform ist, da die Bauleitplanung nicht einerseits Industriegebiet darstellen und andererseits den Charakter des Industriegebietes einschränken darf. Bei dem Gebiet der Hansekraft handelt sich also de facto um Gewerbegebiet und keineswegs – wie immer wieder fälschlicherweise angenommen – um ein Industriegebiet.
Die Baunutzungsverordnung (BauNVO) regelt in § 8 (1):
Gewerbegebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben.
Das Kraftwerk der Hansekraft ist kein Gewerbebetrieb, sondern ein Industriebetrieb, der Abstand von schutzbedürftigen Wohngebieten halten muss. Dazu nimmt die Beschlussvorlage keine Stellung. Die Vorlage ist folglich nicht beschlussfähig.
Die TA Lärm führt in Absatz 6.1 b aus:
Die Immissionsrichtwerte für den Beurteilungspegel betragen für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden
b) in Gewerbegebieten nachts 50 dB(A).
In Wikipedia heißt es dazu:
Vom Gewerbegebiet im eigentlichen Sinne unterscheidet sich ein Industriegebiet durch die Ansiedlung von Betrieben, die ein bestimmtes Maß an Umweltbelastungen wie Lärm, Luftschadstoffe, Staub und Gerüche erzeugen und darum von Wohngebieten ferngehalten werden sollen.
Unterstreichung durch BiB
Die Beschlussvorlage sagt zu dieser Problematik nichts. Sie geht auch nicht ein auf § 50 des Bundesimmissionschutzgesetz (BImSchG). Dort wird in Übereinstimmung mit vorstehenden Ausführungen gefordert:
Bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen sind die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, dass schädliche Umwelteinwirkungen und von schweren Unfällen im Sinne des Artikels 3 Nummer 13 der Richtlinie 2012/18/EU in Betriebsbereichen hervorgerufene Auswirkungen auf die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete ... vermieden werden.
Auch das Regionale Raumordnungsprogramm (RROP) des Landkreises Stade fordert unter 2.1 12 zweiter Absatz (S. 19):
Bei der Planung neuer Industrie- oder Gewerbegebiete soll von Wohnbebauung, .... ein ausreichender Abstand eingehalten werden.
Die Beschlussvorlage der Stadt geht auch auf alle diese Vorschrift nicht ein. Dabei hat die Stadt beim Surfpark erfahren müssen, welche Auswirkungen die Missachtung dieses Regelwerks nach sich zieht.
Es ist zutreffend, dass sich auf dem Bützflethersand auf Grund einer historischen Fehlplanung Industrien angesiedelt haben. Diese bestehenden Betriebe haben einen Bestandsschutz, aus dem aber nicht abgeleitet werden darf, dass auch industrielle Neuansiedlungen, wie das BMHKW der Firma Hansekraft ein Baurecht besitzen. Ein solches Baurecht ergibt sich auch nicht aus § 34 des bauordnungsrechtlichen Baugesetzbuches (BauGB). In § 34 (1) Satz 2 des BauGB heißt es:
Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; ...
Das Gericht hat in 2018 festgestellt, dass es sich in dem schalltechnischen Konflikt zwischen bestehender Industrie und bestehender Wohnbebauung um eine Gemengelage nach Absatz 6.7 der TA Lärm handele. Die Stadt ist danach verpflichtet einen geeigneten Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte zu ermitteln, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist. Die Stadt ist bisher dieser Pflicht nicht nachgekommen.
BiB weist darauf hin, dass auch bei Vorhandensein der für Gemengelagen notwendigen Werte ein neuer Betrieb nicht automatisch die erhöhten Immissionswerte einer bestehenden Gemengelage nutzen kann. Der neue Betrieb muss in jeder Hinsicht, also auch schalltechnisch eigene Bewertungen und Genehmigungsverfahren durchlaufen. Dies ist der Beschlussvorlage nicht zu entnehmen. Diese sieht BiB folgerichtig ein weiteres Mal als nicht beschlussfähig an.
Wie vorstehend mehrfach vorgetragen, können die (gesetzlichen) Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse durch die Anforderungen in der Beschlussvorlage nicht erfüllt werden. Die Beschlussvorlage ist folglich nicht zustimmungsfähig.
Die Beschlussvorlage gibt an, dass ein Schallgutachten erst noch erarbeitet wird. Etwaige sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen kann die Vorlage daher nicht nennen. Die Vorlage ist insoweit unvollständig. Es ist verständlicherweise nicht möglich, aus nicht vorhandenen Daten die Lärmbelastung der schutzbedürftigen Nachbarschaft zu erkennen. Die Vorlage ist auch insoweit unvollständig und folglich nicht beschlussfähig.
Die Vorlage spricht von schutzwürdigen Nutzungen, die berücksichtigt würden. Die Benutzung des Begriffes „schutzwürdig“ statt des zutreffenden Begriffs „schutzbedürftig“ ist unzutreffend. Schutzwürdig können z. B. Bauten, Denkmale u. a. m. sein, wenn sie einen gewissen Wert beinhalten. Hier findet also eine Abwägung statt. Schutzbedürftig sind hingegen alle Menschen, Babys, Kleinkinder, Alte, Kranke u.a.m. ohne jegliche Abwägung, ohne jegliche Wertung.
Die Vorlage nennt an keiner Stelle die Schutzbedürftigkeit (auch keine irgendwie geartete Schutzwürdigkeit) der Nachbarbebauung. Es fehlt eine Untersuchung der lokalen Gegebenheiten mit der sich daraus ergebenden Einstufung in die jeweilige Nutzungsklasse nach BauNVO, hier ausschließliches Wohngebiet (§ 3) bzw. vorwiegendes Wohngebiet (§ 4) oder besonderes Wohngebiet (§ 4a). Ohne diese Einstufung nach BauNVO ist eine Feststellung der Immissionsrichtwerte nach § 6.1 der TA-Lärm nicht möglich. Diese aber sind zwingend erforderlich, um – wie die Vorlage behauptet- zu dem Ergebnis zu kommen, dass die zulässigen Immissionsrichtwerte in der bewohnten Nachbarschaft mehr als deutlich unterschritten werden. Die vorstehend zitierte Behauptung der Vorlage ist nicht belegt und folglich ist die Vorlage ein weiteres Mal nicht beschlussfähig.
Der Hinweis auf „Irrelevanz“ (Bedeutungslosigkeit) der Lärmbelästigung in der Vorlage ist unzutreffend, wenn man bedenkt, dass dazu selbstverständlich auch der jeweilige Immissionsrichtwert nach TA Lärm bekannt sein muss. Der aber ist, wie vorstehend schon dargelegt, nicht bekannt. Die Feststellung einer Irrelevanz ist bei Fehlen eines Vergleichswertes unmöglich. Die Darstellung der Vorlage ist folglich fehlerhaft, die Vorlage ist auch insoweit nicht beschlussfähig.
Im Jahr 2021 wurde beschlossen, dass für das Gebiet nördlich der Johann- Rathje-Köser-Straße, der Abbenflether Süderelbe und der Elbe der Bebauungsplan 602 neu aufgestellt werden soll. In der damaligen Beschlussvorlage heißt es:
Hinsichtlich der Schallproblematik und dem allgemeinen Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme innerhalb einer gewachsenen Großgemengelage wird an einem detaillierten tragfähigen Konzept gearbeitet, um zwischen den angrenzenden gewachsenen Siedlungs- und Ortschaftsbereichen sowie dem ebenfalls bereits über Jahrzehnte gewachsenen und überregional bedeutsamen „chemcoastpark stade“ abwägungsgerechte und rechtsichere Regelungen zu treffen.
Die vom Gericht festgestellte Gemengelage sichert zwar die bestehende Industrie, für neue Betriebe stellt sie nach Ansicht der BiB eine fast unüberwindliche Hürde dar. Die BiB fragt, ob die Gemengelage die Stadt vor so große planerische Schwierigkeiten stellt, dass sie sich nicht in der Lage sieht, den B-Plan 602 Neu aufstellen und beschließen zu lassen. Erwartet die Stadt ein erneutes Scheitern vor Gericht?
In dem vorliegenden Schallrahmenplan bzw. der Schall-Prognose gehen die Gutachter entgegen dem tatsächlichen Nutzungscharakter davon aus, dass sich die benachbarte Bebauung als Mischgebiet nach § 6 BauNVO darstellt und daher mit 45 dB(A) belästigt werden darf. Diese Falschannahme eines bestehenden Mischgebietes bestätigt die Stadt Stade mit Schreiben vom 19. 09. 2022 an Müller BBM ohne für diese Annahme irgendeinen Nachweis zu erbringen. Die BiB hat sich die real existierende Bebauung angeschaut und westlich des Alten Landesschutzdeiches- jetzt Schwingedeich genannt- kein einziges Gebiet gefunden, dass sowohl von Gewerbebetrieben als auch von Wohnbebauung zu ungefähr gleichen Teilen genutzt wird, also als Mischgebiet eingestuft werden müsste.
Tatsächlich wird die Bebauung der Deichstraße ausschließlich zum Wohnen genutzt (Reines Wohngebiet nach § 3 der BauNVO). Der Ortskern hat sich gewandelt hin zu einen Gebiet zur Erhaltung und Entwicklung der Wohnnutzung (besonderes Wohngebiet nach § 4a der BauNVO) und die Alte Chaussee könnte sowohl als Reines Wohngebiet als auch als Gebiet, das vorwiegend dem Wohnen dient (Allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO) eingestuft werden. In jedem Fall liegt der Immissionsrichtwert deutlich unter den bisher von der Stadt, den Genehmigungsbehörden und den Gutachtern angenommenen Wert von 45 dB(A) für Mischgebiet. Dieser wird in der Praxis sogar regelmäßig noch deutlich überschritten und das in einem Umfange, den die Nachbarschaft auch in einer Gemengelage nicht hinzunehmen hat.
Der Behauptung in der Vorlage, dass durch das geplante Projekt keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche bewirkt werden, ist irreführend. Wie oben schon vorgetragen, ist es notwendig, den Charakter des schutzbedürftigen Gebietes zu ermitteln und daraus den in der TA Lärm festgelegten Immissionsrichtwert zu bestimmen. In der Vorlage fehlt es daran.
Die Beschlussvorlage suggeriert, dass eine Verweigerung des Gemeindlichen Einvernehmens rechtswidrig wäre. Dem widerspricht die BiB. Wie vorstehend dargelegt, bestehen erhebliche Gründe, die gegen den Bau und den Betrieb des Kraftwerks sprechen. Diese müssen vorab geklärt werden und zwar in einem Bauleitverfahren nach BauGB. Insbesondere weist die BiB darauf hin, dass es sich bei dem Gelände der Hansekraft nicht um ein Industriegebiet, sondern um ein Gewerbegebiet handelt, wie vorstehend schon dargelegt.
Die BiB schlägt vor, der Beschlussvorlage nicht zuzustimmen sondern stattdessen eine Veränderungssperre auszusprechen und den für das Gebiet des B-Planes 602 Neu gefassten Aufstellungsbeschluss endlich umzusetzen.
Diese Seite als PDF herunterladen: