Von Dr. Michael Huber Celle, aktives Mitglied der Scientists for Future in den Fachgruppen Energie und Kommunaler Klimaschutz
Version 1 vom 25.11.2025
Das Paper darf unverändert weitergegeben
Mit den Firmen DOW und AOS sind in Stade-Bützfleth zwei bedeutende Chemieunternehmen tätig. Bislang versorgte sich DOW mittels eines Erdgas-Heizkraftwerks (167 MW) mit eigenerzeugtem Strom und Dampf für Elektrolyse bzw. Prozesswärme. Auch der Aluminiumoxid-Produzent AOS betreibt ein eigenes 31 MW Erd- gasheizkraftwerk vor allem für den benötigten Hochtemperatur-Prozessdampf. Solange die Versorgung mit russischem Erdgas sicher und kostengünstig war, war eine weitgehende Eigenerzeugung von Strom und Wärme die wirtschaftlichste Lösung für beide Unternehmen. Doch beide Unternehmen sind nun durch die sinkende Versorgungssicherheit und die steigenden Preise für Erdgas gezwungen, vom Erdgas abzukommen. Denn auch ohne CO2-Bepreisung wird Erdgas immer teurer: Das Fracking LNG-Gas aus den USA ist mit 4 Cent/kWh bis zu 10 Cent/kWh bis zu 5-mal teurer als ehemals das russische Gas und der Preis für Erdgas aus Norwegen ist mit derzeit 5 Cent/kWh allein von 2024 auf 2025 um 50 % angestiegen. Mit einem Holzheiz- kraftwerk will nun Hansekraft in Stade-Bützfleth in die Lücke springen und damit 37,5 MW Strom, 150 MW Prozessdampf sowie 18,8 MW Fernwärme produzieren. Für die Erfordernisse der ansässigen Industrie, speziell auch für den Aluminiumoxid-Produzenten AOS, soll das Kraftwerk vor allem 1.200 GWh/a Wärme als Hoch- temperatur-Prozessdampf und nur 300 GWh/a als Strom liefern. Rund 150 GWh/a sollen in ein örtliches Fernwärmenetze eingespeist werden. Insgesamt müssten dafür jährlich ca. 500.000 Tonnen Holz verbrannt werden, die in Form von Altholz importiert werden sollen.
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Zwar werden die CO2-Emissionen aus Heizen mit Holz immer noch (!) per EU-Richtlinie für Erneuerbare Energien (RED III) bzw. in der ETS-Direktive als vernachlässigbar behandelt. Doch wissenschaftlich ist längst klar, dass dies angesichts des durch den Klimawandel bedingten Waldsterbens und des Einbruchs beim Nachwuchs nicht mehr zutrifft, wie ja auch die aktuelle Bundeswaldinventur bestätigte. Holz, das in Minuten verbrennt, braucht eben Jahrzehnte um nachzuwachsen. D. h. Holzverbrennung trägt ebenso wie die Verbrennung fossiler Energieträger zum Anstieg der aktuellen CO2-Konzentration in der Atmosphäre bei. Und dieser aktuelle Anstieg durch Holzverbrennung kann nicht mittels zukünftiger (!) CO2-Bindung durch Holznach- wuchs kompensiert werden. Laut IPCC ist eine klimaneutrale Bilanz der Holzverbrennung nur gegeben, wenn der Holzzuwachs den Verbrauch deckt und der Wald als Senke fungiert, darauf weisen diverse NGOs bereits seit Jahren hin. 2022 wurde die Klimaschädlichkeit der Holzverbrennung auch vom Bundesministerium (BMUKN) und 2023 sowie 2025 auch vom UBA bestätigt, denn wenn der Wald keine CO2-Senke mehr ist, kann Holzverbrennung auch nicht mehr klimaneutral sein. Was aber aufgrund der Holzwirtschafts-Lobby bislang noch nicht in gesetzliche Regelungen einfloss. Auch die Verbrennung von Altholz ist bezüglich Klimaschutz keine Alternative. Denn wenn Altholz statt stofflicher Verwertung verbrannt wird, erhöht auch dies die aktuelle CO2-Konzentration in der Atmosphäre.
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Von 2000 bis 2020 hat sich die Holzverbrennung („Energetische Holznutzung“) in Deutschland um mehr als das 2,5-fache erhöht. [15, 16, 17, 18]. Diese vermehrte Nachfrage nach Energieholz ließ sowohl national als auch international die Preise stark ansteigen, in Deutschland seit 2009 um ca. den Faktor 2. Zu diesen marktbeding- ten Preissteigerungen kommt nun noch die durch die Klimawandel bedingte Verknappung bei der Holzernte. Der ab 2018 durch den vermehrten Schadholzanfall angestiegene Energieholzvorrat ist inzwischen aufgezehrt [19, 20, 21, 22, 23]. Selbst wenn man nun national und international bei der Holzernte vermehrten Raubbau betreiben würde, um an mehr Energieholz zu kommen, könnten auf diese Weise maximal die nächsten 10 Jahre mit zusätzlichem Frischholz überbrückt werden. Hansekraft setzt deshalb scheinbar realistisch auf kostengünstigeres Altholz. Doch auch hier ist die Versorgungssicherheit ungewiss. Denn bereits jetzt wird in Deutschland alles nicht stofflich verwertete Altholz zu 100 % unter Strom- und/oder Wärmegewinnung ver- brannt. Deshalb ist nur noch kontaminiertes, anderweitig nicht verwertbares Altholz kostengünstig am Markt. Die Quellen für unbelastetes Altholz sind im Inland, wie gesagt, längst ausgeschöpft. Zum Beispiel legte des- halb 2024 VEOLIA seine Altholzkraftwerke in Großaitingen und Zapfendorf still, auch weil der Ersatz durch Frischholz unwirtschaftlich war. Dieses Versorgungsproblem will Hansekraft durch Importe von kosten- günstigem Altholz lösen. Doch auch für „sauberes“ Altholz sind die Kosten in den letzten Jahren europaweit extrem gestiegen und erreichen mit bis zu ca. 100 Euro/t bereits jetzt Preise, die man früher für frisches Energieholz zahlte. Auch dass europaweit große Überschüsse an Altholz bestünden, relativiert sich. Wie hart umkämpft der Altholzmarkt inzwischen ist, zeigt sich am Beispiel UK, das 2020 zum Importeur für Altholz und 2024 wieder zum Exporteur wurde. Auch Altholz folgt eben dem höchsten Preis. Viele Analysten sagen, die Preise für Altholz werden weiter in die Höhe gehen, da die Preise für Frischholz so stark steigen werden, dass das stoffliche Recycling von Altholz immer wirtschaftlicher wird. Wenn also Hansekraft deshalb bis zu 50 % belastetes Altholz verbrennen will, ist das vielleicht derzeit über Import noch ausreichend vorhanden und im Einkauf relativ billiger. Allerdings sind die für „belastetes“ Altholz geeigneten Heizkraftwerke technologisch aufwändiger und im Betrieb teurer. Das billige Altholz der Belastungsklasse A4 müsste z. B. bei über 1100 °C verbrannt werden, was extreme Anforderungen an die Werkstoffe der Verbrennungsanlagen stellt. In seinem Infopaper zum Altholz schweigt sich Hansekraft zum Grad der Schadstoffbelastung des eingeplanten Altholzes aus. Dabei plant Hansekraft eine ganz normale Wirbelschichtholzverbrennung mit nachgeschalteter Abgas- reinigung. Für unbelastetes Altholz oder auch Frischholz könnten damit sicher sehr gute Abgaswerte erreicht werden. Doch für die Verbrennung von belastetem Altholz werden längst wesentlich aufwändigere Kraftwerke mit Holzvergasung empfohlen. Auch die von C4C (Chemistry for Future, VCI + VDI) empfohlene Pyrolyse von Abfällen zu Pyrolyseölen als Grundstoff für die Chemische Industrie könnte zur Konkurrenz für die Verbrenn- ung werden. Es ist also abzusehen, dass spätestens dann wenn Hansekraft bei Mangel an billig verbrennbarem Altholz notfalls auf Frischholz umstellen will, dies zu einer wirtschaftlichen Sackgasse werden wird.
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Stromerzeugung aus Holzverbrennung ist unwirtschaftlich
Auch Prozessdampf aus Holzverbrennung ist kein sicheres Geschäft
Wären letztlich die Kunden in einem Fernwärmenetz das einzige sichere Geschäft?
Mit den für Fernwärme vorgesehenen ca. 300 GWh/a könnten mindestens 30.000 Haushalte beheizt werden. Würde diese Abwärme voll genutzt, hinge die Wärmeversorgung fast aller Haushalte in Stade und näherer Umgebung vom Holzheizkraftwerk Bützfleth ab. Doch das Holzheizkraftwerk wäre ein unsicherer Wärme- lieferant für das Fernwärmenetz der Stadtwerke Stade. Denn über kurz oder lang könnte Hansekraft gezwungen sein, wirtschaftliche Schwierigkeiten bei der Strom- und Prozessdamproduktion durch relativ hohe Abgabepreise bei der Fernwärme zu kompensieren. Schon jetzt haben viele Fernwärmeversorger Probleme, ihre Wärme zu bezahlbaren Preisen anzubieten. [42]
Prozesswärme muss in Zukunft anders erzeugt werden
Für Unternehmen, die bisher ihre Prozesswärme auf fossiler Basis erzeugten, erscheint es am einfachsten, die bisherigen Anlagen ohne wesentliche Neuinvestitionen weiterzubetreiben. Wer also bislang Erdgas ver- brannte, könnte theoretisch ohne allzu große Umrüstung z B. grünen Wasserstoff verbrennen. Doch es zeichnet sich ab, grüner Wasserstoff wird dafür voraussichtlich zumindest die nächsten 15 Jahre zu teuer sein. [43, 44, 45]
Für ein Unternehmen wie AOS, das viel Prozessdampf braucht, scheint es deshalb ideal, sich diesen in Zukunft – ohne große Eigeninvestitionen – einfach von Hansekraft liefern zu lassen. Doch wie gesagt, ob dieser Dampf auf Basis von Holzverbrennung längerfristig zu wirtschaftlichen Konditionen geliefert werden kann, erscheint fraglich. Wenn also letztlich Verbrennung als zukunftssichere Wärmequelle ausfällt, bleibt nur noch grüner Strom. Dazu kommt, dass AOS zukünftig auch das bislang für das Brennen von Aluminiumhydroxid zu Aluminiumoxid verwendete Erdgas ohnehin durch grünen Strom ersetzen muss.
Mit Strom können alle Temperaturlevel abgedeckt werden
Mit Ohm’scher Wärme lassen sich Prozess-Temperaturen von 20 °C bis ca. 1.200 °C erzeugen, Induktions- wärme kann bei geeigneten Materialien bis ca. 1.600 °C eingesetzt werden, Lichtbogen erzeugen Temperaturen zwischen ca. 3.000 °C und 16.000 °C und Plasmaentladungen bei produktionstechnischen Anwendungen sogar bis zu 30.000 °C. Mit Wärmepumpen lassen sich durch Kombination von Strom mit Umwelt- oder Abfall- wärme Temperaturen bis ca. 250 °C erzeugen. Für den Prozessdampf-Bedarf von AOS stehen also mehrere verbrennungsfreie Möglichkeiten zur Verfügung.
Das sieht auch die C4C Studie des VCI und VDI so: „ ... Komplette direkte Elektrifizierung der Wärmeversorgung unabhängig vom Temperaturbereich: Hierbei kommen Power-to-Heat-Technologien wie Elektrodenkessel und Wärmepumpen zum Einsatz, für Temperaturen über 500 °C neue Technologien wie elektrische Induktions- heizungen. Derartige Technologien sind u.a. beim Elektrocracker in der Entwicklung, hier sind Temperaturen von 800 °C zu realisieren. ... Alternativ können im niedrigen Temperaturniveau perspektivisch Wärmepumpen eingesetzt werden, ggf. bietet sich für mittlere und höhere Temperaturniveaus (z. B. im E-Cracker) die direkte Elektrifizierung an.“ [36]
Power-to-Heat Kessel zur Prozessdampferzeugung
Für die Erzeugung von heißem Prozessdampf bis hin zu 300 °C mit 85 bar gibt es heute Power-to-Heat-Kessel mit Leistungen bis zu 60 MW. Diese arbeiten übrigens mit Elektroden und das Wasser selbst dient sozusagen als Heizwiderstand. Nachteil von PtH, für die Erzeugung von ca. bis zu 98 % Prozesswärme sind immer 100 % elektrische Energie nötig. Power-to-Heat ist also ganz besonders auf günstige Strompreise angewiesen.
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Hochtemperaturwärmepumpen helfen Stromsparen
Heute stehen Hochtemperaturwärmepumpen mit bis zu 50 MW Leitung und Temperaturen von 250 °C zur Verfügung. Wie hoch der COP ist, also der Wärmegewinn zusätzlich zur elektrischen Betriebs-Energie, hängt vom benötigten Temperaturhub ab. Wird als Wärmequelle relativ heiße Abwärme genutzt, werden in der Industrie im Schnitt im Vergleich zur direkten rein elektrischen Wärmeerzeugung (PtH) ca. 50 % Strom ein- gespart. Die von AOS beim Bayer-Prozess in Form von Dampf eingesetzte Wärme beträgt pro Tonne Alu- miniumhydroxid ca. ca. 412 kWh. Doch diese Wärme wird nicht vollständig in chemische Energie umgesetzt, so dass noch genug Abwärme relativ hoher Temperatur verbleibt. Diese Abwärme könnte mit Wärmepumpen wieder zur Prozessdampfgewinnung genutzt und somit ein Teil der Wärme im Kreislauf geführt werden. Ein Konzept, wie es z. B. auch für die Papierindustrie vorgeschlagen und von einigen Unternehmen bereits ein- geplant wird. [49, 50, 51, 52, 53]
Mit Wärmespeichern lassen sich Stromschwankungen überbrücken
Doch kontinuierlicher Betrieb, wie bei chemischen Anlagen i. d. R. notwendig, erfordert unterbrechungsfreie Wärme- bzw. Prozessdampfversorgung. Dies wird durch Wärmespeicher bzw. sog. Carnot-Speicher* möglich. Als Carnot-Speicher werden heute Anlagen für die Umwandlung von elektrischer Energie in Wärme unter Aufheizung von verschiedenen Speicher-Materialien bezeichnet. Ursprünglich für die zeitverzögerte Erzeugung von Dampf für den Betrieb von Dampfturbinen gedacht, eignen sich Carnotspeicher auch zur Wärmespeicher- ung, um damit Prozessdampf zu erzeugen. Diese Wärmespeicher lassen sich auch in Kombination mit Wärme- pumpen einsetzen. So dass Strommangelzeiten beim Betrieb der Wärmepumpen überbrückt werden können. (* Nach Sadi Carnot, dem Begründer der thermodynamischen Grundlagen der Wärmekraftmaschinen benannt.)
Als Wärmespeicher kommen in Frage:
Fazit: Bei entsprechendem Technologieeinsatz ist auch mit Strom eine unterbrechungsfreie und zugleich netzdienliche Prozessdampfversorgung durchaus verbrennungsfrei möglich.
Doch gibt es in Stade überhaupt genug Strom, um nicht nur die Prozesswärme, sondern auch den sonstigen elektrischen Energiebedarf (→ z. B. Elektrolyse) der Industrie abzudecken?
Da Stade in einen typischen Windstromgebiet bzw. Windstromdurchflussgebiet liegt, ist das bereits jetzt und auch in Zukunft der Fall. Oft klagen Unternehmen auch, dass das lokale bzw. regionale Stromnetz für einen Anschluss, der Umstellung von Erdgas auf Strom ermögliche, zu schwach sei. Auch dies ist in Stade nicht der Fall: Es stehen eine leistungsstarke 110 kV Hochspannungsleitung und eine 380 kV Höchstspannungsleitung des Übertragungsnetzes zur Verfügung. Und selbst wenn der Windstrom in diesen Netzen mal knapp wird, stünde ja bei Dunkelflaute Strom aus Norwegen oder aus den Residualkraftwerken im Übertragungsnetz zur Verfügung. Was ist also das Hindernis, die Industrie in Stade einfach auf Strom umzustellen? [57, 58, 59]
Der US-Chemiekonzern Dow legt Teile seiner Anlagen in Schkopau (Sachsen-Anhalt) und Böhlen (Sachsen) bis Ende 2027 still. Dieser Schritt ist auf zu hohe, die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigende Energiekosten zurückzuführen. Betroffen sind vor allem energie- und damit kostenintensive Anlagen am Anfang der chemischen Wertschöpfungskette. Dank billigem russischen Erdgas war in der Vergangenheit die Produktion an diesen deutschen Standorten nicht nur konkurrenzfähig, sondern hatte selbst im weltweiten Wettbewerb Vorteile. Vor denselben Problemen steht DOW nun auch am Standort Stade.
Es ist dabei auf kurze Sicht offensichtlich billiger auf Holzverbrennung zu setzen. Längerfristig wird jedoch Strom und billige Wärme aus dem Holzheizkraftwerk nicht gesichert sein. Denn beim Holz stößt man an natürliche Ressourcengrenzen, der Industriestrompreis hängt dagegen von wirtschaftspolitischen Entscheidungen ab. Jede Bundesregierung, die Deutschland als Industriestandort erhalten will, wird gezwungen sein, eine kostengünstige Nutzung von grünem Strom zu ermöglichen. Dies wird allerdings durch Subventionen beim Strompreis, was die Größe und die Dauer des Subventionsbedarfs betrifft, nicht leistbar sein.
(Die Lösung wird wohl in der Abkehr von der privatwirtschaftlichen Finanzierung des Netzausbaus über Netzentgelte liegen. Vorbilder könnten z. B. Niederlande, Dänemark oder Schweden sein, wo die Übertragungsnetze in staatlichem Besitz und die Verteilnetze weitgehend in öffentlicher Hand sind. Das ist allerdings ein Thema, das den Rahmen dieses Papers sprengt).
Auf den ersten Blick mag der Bau eines Holzheizkraftwerks in Stade-Bützfleth als plausible Lösung erscheinen, um immer teurer werdendes Erdgas zu ersetzen. Doch bei genauerer Hinsicht, erscheint es als fragwürdige Notlösung, die längerfristig zur Investitionsruine zu werden droht.
Die Aussagen dieses Papers beruhen hauptsächlich auf den nachfolgend aufgeführten Quellen.